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Leitlinie 3
Organisationsverantwortung der Leitung wissenschaftlicher Einrichtungen
Die Leitungen von Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen schaffen die Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten. Sie sind zuständig für die Einhaltung und Vermittlung guter wissenschaftlicher Praxis sowie für eine angemessene Karriereunterstützung aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Leitungen wissenschaftlicher Einrichtungen garantieren die Voraussetzungen dafür, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rechtliche und ethische Standards einhalten können. Zu den Rahmenbedingungen gehören klare und schriftlich festgelegte Verfahren und Grundsätze für die Personalauswahl und die Personalentwicklung sowie für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit.
Erläuterungen:
Die Leitung jeder Hochschule und jeder außerhochschulischen Forschungseinrichtung trägt die Verantwortung für eine angemessene institutionelle Organisationsstruktur. Diese gewährleistet, dass in Abhängigkeit von der Größe der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheiten die Aufgaben der Leitung, Aufsicht, Qualitätssicherung und Konfliktregelung eindeutig zugewiesen sind und den jeweiligen Mitgliedern und Angehörigen geeignet vermittelt werden. Im Rahmen der Personalauswahl und der Personalentwicklung werden die Gleichstellung der Geschlechter und die Vielfältigkeit („Diversity“) berücksichtigt. Die entsprechenden Prozesse sind transparent und vermeiden weitestmöglich nicht wissentliche Einflüsse („unconscious bias“). Für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind geeignete Betreuungsstrukturen und -konzepte etabliert. Es werden eine aufrichtige Beratung für die Laufbahn und weitere Karrierewege sowie Weiterbildungsmöglichkeiten und Mentoring für das wissenschaftliche und wissenschaftsakzessorische Personal angeboten.
Leitlinie 4
Verantwortung der Leitung von Arbeitseinheiten
Die Leitung einer wissenschaftlichen Arbeitseinheit trägt die Verantwortung für die gesamte Einheit. Das Zusammenwirken in wissenschaftlichen Arbeitseinheiten ist so beschaffen, dass die Gruppe als Ganze ihre Aufgaben erfüllen kann, dass die dafür nötige Zusammenarbeit und Koordination erfolgen und allen Mitgliedern ihre Rollen, Rechte und Pflichten bewusst sind. Zur Leitungsaufgabe gehören insbesondere auch die Gewährleistung der angemessenen individuellen – in das Gesamtkonzept der jeweiligen Einrichtung eingebetteten – Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Karriereförderung des wissenschaftlichen und wissenschaftsakzessorischen Personals. Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen sind durch geeignete organisatorische Maßnahmen sowohl auf der Ebene der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheit als auch auf der Ebene der Leitung wissenschaftlicher Einrichtungen zu verhindern.
Erläuterungen:
Die Größe und die Organisation der wissenschaftlichen Arbeitseinheit sind so gestaltet, dass die Leitungsaufgaben, insbesondere die Kompetenzvermittlung, die wissenschaftliche Begleitung sowie die Aufsichts- und Betreuungspflichten, angemessen wahrgenommen werden können. Die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben geht mit der entsprechenden Verantwortung einher. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie wissenschaftsakzessorisches Personal genießen ein der Karrierestufe angemessenes Verhältnis von Unterstützung und Eigenverantwortung. Ihnen kommt ein adäquater Status mit entsprechenden Mitwirkungsrechten zu. Sie werden durch zunehmende Selbstständigkeit in die Lage versetzt, ihre Karriere zu gestalten.
Leitlinie 5
Leistungsdimensionen und Bewertungskriterien
Für die Bewertung der Leistung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist ein mehrdimensionaler Ansatz erforderlich: Neben der wissenschaftlichen Leistung können weitere Aspekte Berücksichtigung finden. Die Bewertung der Leistung folgt in erster Linie qualitativen Maßstäben, wobei quantitative Indikatoren nur differenziert und reflektiert in die Gesamtbewertung einfließen können. Soweit freiwillig angegeben, werden – neben den Kategorien des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes – auch individuelle Besonderheiten in Lebensläufen in die Urteilsbildung einbezogen.
Erläuterungen:
Qualitativ hochwertige Wissenschaft orientiert sich an disziplinspezifischen Kriterien. Neben der Gewinnung von Erkenntnissen und ihrer kritischen Reflexion fließen in die Beurteilung auch weitere Leistungsdimensionen ein. Diese sind zum Beispiel: ein Engagement in der Lehre, der akademischen Selbstverwaltung, der Öffentlichkeitsarbeit, dem Wissens- und Technologietransfer; auch Beiträge im gesamtgesellschaftlichen Interesse können gewürdigt werden. Einbezogen werden auch die wissenschaftliche Haltung der Wissenschaftlerin beziehungsweise des Wissenschaftlers wie Erkenntnisoffenheit und Risikobereitschaft. Persönliche, familien- oder gesundheitsbedingte Ausfallzeiten oder dadurch verlängerte Ausbildungs- oder Qualifikationszeiten, alternative Karrierewege oder vergleichbare Umstände werden angemessen berücksichtigt.
Leitlinie 16
Vertraulichkeit und Neutralität bei Begutachtungen und Beratungen
Redliches Verhalten ist die Grundlage der Legitimität eines Urteilsbildungsprozesses. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die insbesondere eingereichte Manuskripte, Förderanträge oder die Ausgewiesenheit von Personen beurteilen, sind diesbezüglich zu strikter Vertraulichkeit verpflichtet. Sie legen alle Tatsachen offen, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen können. Die Verpflichtung zur Vertraulichkeit und zur Offenlegung von Tatsachen, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen können, gilt auch für Mitglieder in wissenschaftlichen Beratungs- und Entscheidungsgremien.
Erläuterungen:
Die Vertraulichkeit der fremden Inhalte, zu denen die Gutachterin / der Gutachter beziehungsweise das Gremienmitglied Zugang erlangt, schließt die Weitergabe an Dritte und die eigene Nutzung aus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen etwaige Interessenskonflikte oder Befangenheiten, die in Bezug auf das begutachtete Forschungsvorhaben oder die Person beziehungsweise den Gegenstand der Beratung begründet sein könnten, unverzüglich bei der zuständigen Stelle an.
Vermeidung von (implicit) Bias in Beurteilungs- und Entscheidungsprozessen
Bei Entscheidungsprozessen ist es wichtig, bewusste und unbewusste Vorurteile, engl. „implicit“ bzw. „unconscious bias“ zu erkennen und zu vermeiden. Bias sind Vorurteile und Stereotype, die im Denken jeder Person in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke automatisch angelegt sind und die für schnelle, automatische Prozesse der Urteilsbildung von Vorteil sind. Wie wissenschaftliche Studien zeigen, kann dies aber Urteilsbildungsprozesse positiv wie negativ verzerren und so auch zu Diskriminierung führen, z.B. in Hinsicht auf Geschlecht, Herkunft, Behinderung oder chronische Erkrankung. Auch in Forschung und Wissenschaft – beispielsweise im Rahmen von Begutachtungen – sind somit implizite und explizite Vorurteile nicht ausgeschlossen.
Ein Beispiel für einen so genannten „Status-Bias“ bzw. einen „Halo-Effekt“ zeigt eine Studie von Huber et al.* Die Autoren haben herausgefunden, dass das Renommee von Forschenden die Bewertung im Peer-Review-Verfahren beeinflussen kann. Sie reichten bei einer verhaltensökonomischen Zeitschrift einen Artikel ein, der gemeinsam von einem renommierten Wirtschaftsnobelpreisträger und einem weniger bekannten Forscher verfasst worden war. Je nachdem, mit welchen Informationen zu den Autoren sie diesen zur Begutachtung einreichten, änderte sich dessen Erfolg bei den Gutachtenden: Das identische Manuskript erhielt bei Nennung des Wirtschaftsnobelpreisträgers als Autor 77% Zustimmung, bei Nennung des unbekannteren Autors eine Zustimmung von 35% und ohne Namensnennung eine Zustimmung von 52%.
In einer weiteren Studie stellten Murray et al.** für die Aufforderung zu Volleinreichungen von Artikeln in einer Zeitschrift aus der Biologie fest, dass Manuskripte von Autoren gegenüber denen von Autorinnen bevorzugt für die Publikation in der untersuchten Zeitschrift akzeptiert wurden. Bei einer rein männlich besetzten Begutachtungsgruppe verschärfte sich der Unterschied sogar.
Um Urteilsverzerrungen durch nicht-wissenschaftliche Einflussfaktoren entgegenzuwirken ist es wichtig, sich dieser Prozesse bewusst zu werden, das eigene Handeln kontinuierlich kritisch zu beleuchten, und Auswahl- und Entscheidungsprozessen entsprechend ausreichend Zeit einzuräumen. Hinweise zu den eigenen Vorurteilen kann der Implicit Association Test (IAT, siehe Link unten) bieten. Dabei sollte beachtet werden, dass der IAT kein diagnostisches Instrument ist und es eine wissenschaftliche Debatte über seine Aussagekraft gibt.
Weitere Informationen, Studien und Handlungsempfehlungen können der Webseite der DFG entnommen werden (siehe Link unten).
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Der Kommentar gehört zu folgenden Kategorien:
LL3 (Allgemein) , LL4 (Allgemein) , LL5 (Allgemein) , LL16 (Allgemein)
Schlagworte:
MachtmissbrauchNachwuchsChancengleichheitVielfältigkeitBegutachtungBerufsethos
Version:
Stand: 19.06.2023 21.08.2023 | Version 3
Version 3 vom 21.08.2023 :
Ergänzung des Films zu vorurteilsfreier Begutachtung
Version 2 vom 19.06.2023 :
Grundlegende Aktualisierung des Beitrags
Version 1 vom 03.12.2020 :
"Implicit Bias in Beurteilungs- und Entscheidungsprozessen"