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Leitlinie 16

Vertraulichkeit und Neutralität bei Begutachtungen und Beratungen

Redliches Verhalten ist die Grundlage der Legitimität eines Urteilsbildungsprozesses. Wissenschaftler*innen, die insbesondere eingereichte Manuskripte, Förderanträge oder die Ausgewiesenheit von Personen beurteilen, sind diesbezüglich zu strikter Vertraulichkeit verpflichtet. Sie legen alle Tatsachen offen, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen können. Die Verpflichtung zur Vertraulichkeit und zur Offenlegung von Tatsachen, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen können, gilt auch für Mitglieder in wissenschaftlichen Beratungs- und Entscheidungsgremien.

Erläuterungen:

Die Vertraulichkeit der fremden Inhalte, zu denen der*die Gutachter*in beziehungsweise das Gremienmitglied Zugang erlangt, schließt die Weitergabe an Dritte und die eigene Nutzung aus. Wissenschaftler*innen zeigen etwaige Interessenskonflikte oder Befangenheiten, die in Bezug auf das begutachtete Forschungsvorhaben oder die Person beziehungsweise den Gegenstand der Beratung begründet sein könnten, unverzüglich bei der zuständigen Stelle an.

Neutralität bei Begutachtungen und Beratungen

Leitlinie 16 benennt die Neutralität von Begutachtungen und Beratungen als wichtige Grundlage für Glaubwürdigkeit, Fairness und Qualität in wissenschaftlichen Entscheidungsprozessen. Sie bildet die unverzichtbare Grundlage für einen fairen und transparenten Beurteilungsprozess in der Wissenschaft, gleich ob im Rahmen von Förderentscheidungen, Berufungsverfahren oder von wissenschaftlichen Peer-Reviews. Nur wenn Gutachter*innen, Gremienmitglieder und wissenschaftliche Berater*innen ihre Positionierungen unabhängig, sachlich und unbeeinflusst abgeben, können Wissenschaft und Gesellschaft auf die Ergebnisse solcher Prozesse vertrauen.

Inhalt des Neutralitätsgebots

Das Gebot der Neutralität verlangt, dass Gutachter*innen allein die wissenschaftliche Qualität und Relevanz einer Arbeit beurteilen, ohne eigene persönliche, wirtschaftliche oder institutionelle Interessen in die Entscheidung einfließen zu lassen. Wissenschaftliche Begutachtungen – sei es die Bewertung eines Manuskripts oder eines Förderantrags, ein Berufungsverfahren oder die Positionierung im Rahmen wissenschaftlicher Politikberatung – dürfen sich ausschließlich an objektivierbaren wissenschaftlichen Kriterien wie methodischer Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Originalität orientieren und nicht an persönlichen Vorlieben, Rivalitäten oder externen Erwartungen. Hierdurch wird auch dem Prinzip der Unvoreingenommenheit zur Geltung verholfen. Unvoreingenommenheit schützt davor, dass unsachliche oder diskriminierende Kriterien – etwa persönliche Sympathien, Herkunft, Geschlecht oder institutionelle Zugehörigkeiten – bewusst oder unbewusst in die Begutachtung einfließen.

Neutralität bedeutet indes nicht, dass Gutachter*innen oder Berater*innen eine eigene inhaltliche und subjektive Positionierung untersagt ist, da der wissenschaftliche Prozess gerade von kritischer Reflexion und Bewertung lebt und sich wissenschaftliches Wissen nur so weiterentwickeln kann. Neutralität verlangt vielmehr, dass diese inhaltlichen Bewertungen stets auf der Grundlage überprüfbarer wissenschaftlicher Argumente erfolgen und dass persönliche oder institutionelle Interessen den Bewertungsprozess nicht überlagern. Insbesondere im Rahmen der wissenschaftlichen Politikberatung ist eine klare Trennung zwischen wissenschaftlicher Bewertung und politischer oder persönlicher Positionierung unabdingbar.

Die Missachtung des Neutralitätsgebots kann schwerwiegende Folgen für die Ergebnisse von Begutachtungs- und Beratungsprozessen haben. Einseitige oder inhaltlich verzerrte Bewertungen untergraben die Qualität wissenschaftlicher Veröffentlichungen, beeinträchtigen die auf wissenschaftsgeleiteten Entscheidungen basierte Verteilung von Forschungsmitteln und beschädigen das Vertrauen in wissenschaftliche Expertise.

Offenlegung von Befangenheiten

Ein zentrales Element zur Sicherung des Neutralitätsgebots ist die Offenlegung möglicher Befangenheiten. Befangenheit liegt vor, wenn persönliche Beziehungen, wirtschaftliche Interessen oder institutionelle Bindungen das Urteil eines*r Gutachter*in beeinflussen können oder auch nur der Anschein einer solchen Beeinflussung entsteht. Typische Beispiele sind enge wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den Autor*innen oder Antragsteller*innen, direkte Konkurrenzsituationen, finanzielle Verflechtungen oder Tätigkeiten für Institutionen, die von der Begutachtung betroffen sein könnten. Alle Umstände, die bereits den Anschein der Befangenheit oder mögliche Interessenkonflikte in Bezug auf den Begutachtungsgegenstand begründen können, sind durch die gutachtende Person oder das Gremienmitglied unverzüglich gegenüber der zuständigen Stelle offenzulegen.

Die Pflicht zur Offenlegung von Umständen, die einer vollständigen Verwirklichung des Neutralitätsgebots entgegenstehen können, ermöglicht den Entscheidungsträger*innen in wissenschaftlichen Verlagen, Förderorganisationen oder anderen Auftraggeber*innen, potenzielle Interessenkonflikte zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu deren Bewältigung zu ergreifen. Darüber hinaus stärkt die Offenlegungspflicht das Vertrauen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Öffentlichkeit in die Fairness und Objektivität des gesamten Prozesses. Die Schaffung von Transparenz über mögliche Befangenheiten trägt überdies wesentlich dazu bei, versteckte Einflussnahme zu verhindern und die Integrität wissenschaftlicher Bewertungen zu sichern.

Forschungsförderung

Innerhalb der DFG gelten für alle an den Förderverfahren beteiligten Personen die „Hinweise zu Fragen der Befangenheit“. Auch der ALLEA Code of Conduct verweist unter Ziff. 2.8 auf das Neutralitätsgebot. Im Rahmen der Begutachtung unberücksichtigt gebliebene Interessenkonflikte können nach Tamblyn et al (2018) zu signifikanten Verzerrungen der Begutachtungsergebnisse führen.

Journal Peer-Review

Ebenso hoch sind die Anforderungen an Neutralität und Unvoreingenommenheit im Peer-Review für wissenschaftliche Zeitschriften. Publikationsethische Leitfäden wie die des Committee on Publication Ethics (COPE) schreiben vor, dass Gutachter*innen objektiv urteilen und potenzielle Interessenkonflikte gegenüber der Redaktion deklarieren müssen. Autor*innen sind ihrerseits verpflichtet, bei der Einreichung eines Manuskripts potenzielle Interessenkonflikte offenzulegen. Diese Prinzipien spiegeln sich auch in Redaktionsrichtlinien führender Verlage wider.

Berufungskommissionen

Auch in Berufungskommissionen kann eine objektive Auswahl nur ohne Befangenheitsverdacht aller beteiligten Personen gewährleistet werden. Mitglieder von Auswahlgremien müssen bereits zu Beginn ihrer Tätigkeit prüfen und dokumentieren, ob Befangenheitsgründe vorliegen, und sich im Konfliktfall aus Beratung und Entscheidung zurückziehen.

Wissenschaftliche Politikberatung

Für die wissenschaftliche Beratungstätigkeit der DFG-Senatskommissionen sind die „Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten“ einschlägig.

Wissenschaftliches Fehlverhalten

Werden Umstände, die den Anschein der Befangenheit begründen, nicht in der gebotenen Art und Weise offengelegt, so kann dies nach § 10 der DFG-Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten oder nach § 21 Abs. 7 lit. c) der HRK-Mustersatzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens wissenschaftliches Fehlverhalten begründen.

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