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Leitlinie 4

Verantwortung der Leitung von Arbeitseinheiten

Die Leitung einer wissenschaftlichen Arbeitseinheit trägt die Verantwortung für die gesamte Einheit. Das Zusammenwirken in wissenschaftlichen Arbeitseinheiten ist so beschaffen, dass die Gruppe als Ganze ihre Aufgaben erfüllen kann, dass die dafür nötige Zusammenarbeit und Koordination erfolgen und allen Mitgliedern ihre Rollen, Rechte und Pflichten bewusst sind. Zur Leitungsaufgabe gehören insbesondere auch die Gewährleistung der angemessenen individuellen – in das Gesamtkonzept der jeweiligen Einrichtung eingebetteten – Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Karriereförderung des wissenschaftlichen und wissenschaftsakzessorischen Personals. Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen sind durch geeignete organisatorische Maßnahmen sowohl auf der Ebene der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheit als auch auf der Ebene der Leitung wissenschaftlicher Einrichtungen zu verhindern.

Erläuterungen:

Die Größe und die Organisation der wissenschaftlichen Arbeitseinheit sind so gestaltet, dass die Leitungsaufgaben, insbesondere die Kompetenzvermittlung, die wissenschaftliche Begleitung sowie die Aufsichts- und Betreuungspflichten, angemessen wahrgenommen werden können. Die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben geht mit der entsprechenden Verantwortung einher. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie wissenschaftsakzessorisches Personal genießen ein der Karrierestufe angemessenes Verhältnis von Unterstützung und Eigenverantwortung. Ihnen kommt ein adäquater Status mit entsprechenden Mitwirkungsrechten zu. Sie werden durch zunehmende Selbstständigkeit in die Lage versetzt, ihre Karriere zu gestalten.

Maßnahmen zum Schutz von Forschenden vor Machtmissbrauch (Sonderfall: sexuelle Belästigung)

Leitlinie 4 des Kodex weist der Leitung wissenschaftlicher Arbeitseinheiten die Aufgabe zu, Machtmissbrauch und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen durch geeignete organisatorische Maßnahmen zu verhindern. In den Erläuterungen dazu wird konkretisiert, dass die Organisation der wissenschaftlichen Arbeitseinheit gewährleisten soll, dass „die wissenschaftliche Begleitung sowie die Aufsichts- und Betreuungspflichten angemessen wahrgenommen werden können“.

Machtmissbrauch tritt in der Wissenschaft in unterschiedlichen Formen auf. Auch wenn der Kodex sexuelle Belästigung nicht explizit benennt, ist sie eine Form des Machtmissbrauchs, die auch im Wissenschaftssystem vorkommt. Nach der Definition in § 3 Abs. 4 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist sexuelle Belästigung jedes unerwünschte und sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt.

Dass sexuelle Belästigung im Wissenschaftsbetrieb ein strukturelles Problem darstellt, hat die größte Umfrage im Europäischen Forschungsraum von UniSAFE1 bestätigt.

Diese Problematik wird demnach insbesondere durch folgende Faktoren begünstigt:

  • die besonderen Abhängigkeitsverhältnisse2, 3 von Wissenschaftler*innen während der Qualifizierungsphase durch Wissens-, Beurteilungs- und Machtmonopole von Lehrenden und Betreuungspersonen,
  • das starke Status- und Hierarchiegefälle zwischen Lehrenden und Wissenschaftler*innen in frühen Karrierephasen2,
  • die befristeten und prekären Beschäftigungsverhältnisse der Wissenschaftler*innen, denen verbeamtete Professor*innen gegenüberstehen2,
  • die Personalunion von Betreuungs- und Vorgesetztenfunktion der Lehrenden4,
  • Angst vor Karriereschäden oder sozialer Ausgrenzung2 und
  • zeitlich begrenzter Aufenthaltsstatus von ausländischen Wissenschaftler*innen2.

Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben eine Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber den ihnen in einem Arbeitsverhältnis unterstellten Beschäftigten. Als Arbeitgeber unterliegen sie den Bestimmungen des AGG. Danach sind sie verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu ergreifen. Dazu gehört auch die Verhängung arbeitsrechtlicher Maßnahmen bei nachgewiesener sexueller Belästigung, soweit Sanktionen erforderlich sind. Einige spezialgesetzliche Regelungen zum Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt sind daher in Landeshochschulgesetzen und Gleichstellungsgesetzen verankert. Weitere Regelungen finden sich in Leitfäden, Richtlinien und Dienstvereinbarungen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Darüber hinaus kommt aber vor allem präventiven Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu. Die gängigsten Maßnahmen zur Prävention von sexueller Belästigung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Sensibilisierungstrainings, verpflichtende Fortbildungen für Führungskräfte, berufliche Weiterbildung zum Thema sowie die Schaffung von räumlichen und technischen Voraussetzungen zur Vermeidung von Angst- und Gefahrensituationen. Diese Regelungen sind meist in Richtlinien festgehalten, die von den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in eigener Autonomie erlassen werden.

Die steigende Zahl der gemeldeten Fälle von sexualisiertem Machtmissbrauch macht eine Weiterentwicklung der bestehenden Maßnahmen durch die Leitungen der wissenschaftlichen Arbeitseinheiten notwendig. Das hat auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in einer Pressemitteilung vom 15. November 2023 bekräftigt und die Absicht bekundet, Vorschläge für weitere Maßnahmen zu entwickeln.

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